Die Behaup­tung, Grüne wollten Einfa­mi­li­en­häuser verbieten, ist falsch.

Klar­stel­lung: Inter­view Anton Hofreiter

Bild­nach­weis: Paul Bohnert

Die Behaup­tung, Grüne wollten Einfa­mi­li­en­häuser verbieten, ist falsch.
Die eigenen vier Wände sind für viele Menschen wichtig – dazu gehört auch das Einfa­mi­li­en­haus. Das wird es auch in Zukunft geben – so wie Reihen­häuser, Mehr­fa­mi­li­en­häuser, Miets­häuser. Was aber wo steht oder gebaut wird, entscheiden die Kommunen vor Ort – je nachdem, was im Dorf oder der Stadt nötig ist, wie viel Fläche da ist, wieviel Leer­stand es gibt und was gut in den Ort passt. Alle wissen: Wohnraum ist vieler­orts knapp, Flächen sind endlich, Mieten und Immo­bi­li­en­preise sind explo­diert. Deshalb ist unser Ziel, dass Menschen aus der Breite der Gesell­schaft in Stadt und Land guten und bezahl­baren Wohnraum finden und dass so gebaut wird, dass Klima und Umwelt geschützt werden.
Wir unter­stützen den Erwerb von Wohn­ei­gentum, setzen uns für günstige Mieten ein und fördern auch Sanie­rungen und ökolo­gi­sches Bauen. Eine Über­sicht unserer parla­men­ta­ri­schen Initia­tiven dazu finden Sie hier.

In Absprache mit DER SPIEGEL stellen wir das Inter­view von Anton Hofreiter hier im Wortlaut zur Verfü­gung (Quelle: DER SPIEGEL 7/2021):

SPIEGEL: Herr Hofreiter, sind Sie in einem Haus mit Garten aufgewachsen?

Hofreiter: Ja, als Kind war das sehr schön, wir waren nur weit weg von der S‑Bahn.

SPIEGEL: In Hamburg-Nord hat ein grüner Bezirks­amts­leiter dafür gesorgt, dass es keine Einfa­mi­li­en­häuser mehr in neuen Bebau­ungs­plänen gibt. Wollen die Grünen die eigenen vier Wände verbieten?

Hofreiter: Ange­sichts der drama­ti­schen Wohnungsnot und der Tatsache, dass Boden endlich ist, hat Hamburg-Nord entschieden, Wohnraum für viele statt für wenige zu schaffen. Dass Kommunen entscheiden, was bei ihnen sinnvoll ist, ist jahr­zehn­te­lange Praxis in unserem Land und verant­wor­tungs­volle Politik.

SPIEGEL: Sie haben die Frage nicht beantwortet.

Hofreiter: Natür­lich wollen die Grünen nicht die eigenen vier Wände verbieten. Die können übrigens sehr verschieden aussehen: Einfa­mi­li­en­haus, Reihen­haus, Mehr­fa­mi­li­en­haus, Miets­haus. Wo was steht, entscheidet aller­dings nicht der Einzelne, sondern die Kommune vor Ort.

SPIEGEL: Warum kann aber jemand, der in Hamburg-Nord ein Grund­stück kauft, dort kein Einfa­mi­li­en­haus bauen, wo schon solche Häuser stehen?

Hofreiter: Das kann er – auch in Hamburg-Nord. Dort, wo ein gültiger Bebau­ungs­plan solche Häuser ausweist. Anders ist es, wo neue Bauge­biete entstehen. Wohnraum ist auch in Hamburg knapp. Um für alle bezahl­baren Wohnraum zu schaffen, müssen die wenigen Flächen, die es gibt, best­mög­lich genutzt werden. Das ist eine zentrale soziale Frage, gerade in unseren Groß­städten. Wie viele Einfa­mi­li­en­häuser stehen in Berlin-Mitte? Kaum eines. Als ich Gemein­derat in Sauer­lach war, haben wir im Ortskern ein Gebiet ausge­wiesen, da kam kein einziges Einfa­mi­li­en­haus hin. Bürger­meister war ein CSU-Mann. Deswegen jetzt zu sagen, die CSU habe das Einfa­mi­li­en­haus verboten, wäre albern.

SPIEGEL: Wir halten fest: Sie finden es nicht prin­zi­piell falsch, Einfa­mi­li­en­häuser nicht zu genehmigen.

Hofreiter: Mir geht es nicht um Prin­zi­pien, sondern um Lösungen, die funk­tio­nieren. Städ­ti­scher Raum ist nicht vermehrbar. In Hamburg kostet ein allein stehendes Haus im Schnitt über 800 000 Euro. Wenn Kommu­nal­po­li­tiker sagen, wir wollen uns darum bemühen, dass normale Menschen mit einem Durch­schnitts­ein­kommen sich künftig auch eine Wohnung leisten können, kann man das diskre­di­tieren, aber ich finde, da blickt man sehr herab auf Menschen mit normalem Gehalt.

SPIEGEL: Es gibt einen Partei­tags­be­schluss von 2019, der vorrechnet, wie viel Sand und Kies ein Haus verbraucht. Im Wahl­pro­gramm von Baden-Würt­tem­berg werden Einfa­mi­li­en­haus­sied­lungen kritisch erwähnt. Skepsis scheint unter Grünen weit verbreitet.

Hofreiter: Natür­lich, weil wir uns um unsere Lebens­grund­lagen und den sozialen Zusam­men­halt sorgen. Einpar­tei­en­häuser verbrau­chen viel Fläche, viele Baustoffe, viel Energie, sie sorgen für Zersie­de­lung und damit auch für noch mehr Verkehr. Wir leben in Zeiten der Klima­krise und des Arten­ster­bens. Die Bundes­re­gie­rung hat beschlossen, den Flächen­ver­brauch von 60 Hektar am Tag auf 30 Hektar am Tag zu redu­zieren, bis jetzt ziemlich erfolglos. Immer mehr frucht­barer Boden wird zugebaut, wogegen Bauern protes­tieren. In den Städten haben wir eine gigan­ti­sche Wohnungsnot und explo­die­rende Preise. Ande­rer­seits verfallen manche Dörfer. Fast zwei Millionen Wohnungen stehen leer. Der Wert von Häusern dort rauscht in den Keller. Alles zugleich.

SPIEGEL: Welche Rolle kann das Einfa­mi­li­en­haus also künftig spielen? Und wer entscheidet das?

Hofreiter: Das wird von Region zu Region, von Ort zu Ort unter­schied­lich sein. Man muss den Kommunen die Möglich­keit geben zu entscheiden.

SPIEGEL: Das Wuppertal Institut hat in einer Studie für Fridays for Future fest­ge­stellt, dass der Anstieg der Quadrat­me­ter­zahl pro Kopf gestoppt und umge­kehrt werden müsste, um das 1,5‑Grad-Ziel zu errei­chen. Fordern Sie das auch?

Hofreiter: Ich finde es schwierig, Dinge zu fordern, die man poli­tisch nicht umsetzen kann. Aber es ist gut, dass Fridays for Future das proble­ma­ti­siert. Aufgabe der Politik ist es, für 100 Prozent erneu­er­bare Energien und klima­neu­trale Gebäude zu sorgen. Politik muss den Rahmen setzen – wie jemand wohnt oder welches Fahrzeug er fährt, entscheidet jeder für sich.

SPIEGEL: Wie sähe die ideale, nach­hal­tige grüne Stadt aus? Und wie das grüne Dorf?

Hofreiter: Ideal sind Orte mit leben­digen Zentren und kurzen Wegen. Orte, an denen Wohnen, Arbeiten und Einkaufen gemischt sind. Mit ausge­bautem Bus- und Bahn­ver­kehr, fahr­rad­freund­lich, fußgän­ger­freund­lich, mit weniger Raum fürs Auto, unter­schied­li­chen Wohn­formen ohne Segre­ga­tion. Das gilt für Städte wie für Dörfer.

SPIEGEL: Das alles wird schwer, wenn alle weiter auf der grünen Wiese ihr Häuschen mit Garten bauen.

Hofreiter: Das kann man ja nicht bestreiten. Es gibt Ressour­cen­kon­kur­renz. Entschei­dend ist, dass Kommunen die Möglich­keiten bekommen, dagegen anzu­gehen. Aktuell ist es sehr leicht, am Ortsrand neue Bauge­biete auszu­weisen, und schwer, das im Zentrum zu tun, selbst wenn dort viel leer steht. So entstehen Donut-Dörfer, außen prall, innen hohl, mit Sied­lungen am Rand und einer kaputten Tank­stelle als trau­rigem Rest im Kern. Daran hat aber kein Gemein­derat Inter­esse, deshalb geht die Politik dagegen vor, wenn man ihr die Möglich­keit gibt. Viele Bürger­meister, auch aus der CDU oder der CSU, sagen mir, sie brauchen mehr Rechte.

SPIEGEL: Um was zu tun?

Hofreiter: Um Baulü­cken zu schließen und Brach­flä­chen zu nutzen. Ich finde es richtig, dass die Gemeinde im Notfall auch enteignen darf, wenn Besitz­ver­hält­nisse unklar sind oder sich Erben­ge­mein­schaften streiten und deshalb ein Dorfkern verödet oder Wohnraum nicht geschaffen werden kann.

SPIEGEL: Manche Menschen wollen unbe­dingt ein eigenes Haus bauen. Wie wollen Sie das ändern?

Hofreiter: Um alte Häuser attrak­tiver zu machen, brauchen Kommunen mehr Zuschüsse, damit sie helfen können, die Gebäude auf Vorder­mann zu bringen. Das können sich viele sonst gar nicht leisten, gerade wenn der Denk­mal­schutz dazu­kommt. Was jammer­schade ist.

SPIEGEL: Es brauchte also eher ein reines Kauf­kin­der­geld als das Baukin­der­geld der Bundesregierung?

Hofreiter: Das wäre schon weniger schlecht, aber ich halte es grund­sätz­lich für einen Fehler, das Besitzen von Wohnraum so unkon­di­tio­niert staat­lich zu finan­zieren, das erzeugt teure Mitnah­me­ef­fekte. Ange­sichts der Nöte in Städten sollte man das Steu­er­geld erst einmal verwenden, um bei den Mieten Abhilfe zu schaffen oder Flach­bauten mit bezahl­baren Wohnungen aufzu­sto­cken. Auf dem Land wäre es wichtig, den Leer­stand mit Leben zu füllen. Mit so einer ziel­ge­nauen Förde­rung kann man auch Käufern helfen.

SPIEGEL: Gehört die Zukunft eher der Miete als dem Eigentum?

Hofreiter: Ich will das nicht entscheiden. Aber selbst wenn es gelingt, die Preis­stei­ge­rungen zu bremsen, ist Wohn­ei­gentum in der Stadt für die aller­meisten Menschen uner­schwing­lich. Dafür brauchte man eine wirklich völlig andere Lohn­struktur. Die Hälfte der Menschen in Städten wie Berlin oder Hamburg verdient so wenig, dass sie Anspruch auf eine Sozi­al­woh­nung hat. Auf dem Land ist das etwas anderes.

SPIEGEL: Menschen verstehen das Eigen­heim auch als Sicher­heit für die Rente. Müssen sie sich davon verabschieden?

Hofreiter: Da muss man unter­scheiden: In den boomenden Städten werden die Wohnungs­preise nicht verfallen, da kann es allen­falls gelingen, den Preis­an­stieg zu bremsen. In anderen Regionen gibt es das Problem aber schon seit Jahren massiv. In schrump­fenden Gegenden verlieren die Häuser an Wert. Das Haus als Renten­ga­rantie ist dort ein gefähr­li­cher Mythos.

SPIEGEL: Die Grünen wollen Wähler der Union gewinnen, reden aber über Verbote von Wohn­ei­gentum oder Ölhei­zungen oder über Enteig­nungen. Kann das funktionieren?

Hofreiter: Wir stecken in der Klima­krise. Da kann nicht alles bleiben, wie es war. Unsere Aufgabe ist es, realis­tisch sozial gerechte Wege aus der Klima­krise aufzu­zeigen. Die Wirk­lich­keit zu igno­rieren, das geht für keine Partei mehr auf.

SPIEGEL: Bauspar­ver­trag und Eigen­heim sind für viele jedoch Heilig­tümer. Warum sagen Sie in einem Wahljahr nicht, dass sie das bleiben können?

Hofreiter: Weil ich dann verspre­chen müsste, was ich nicht für alle überall halten kann. Ich kann und will den Kommunen ihr Planungs­recht nicht wegnehmen. So einen Zentra­lismus lehne ich ab.

SPIEGEL: In Hamburg-Nord sind sich Grüne und SPD über die Entschei­dung zum Einfa­mi­li­en­haus einig. Hängen bleibt es aber an den Grünen. Droht Ihnen ein zweites Veggie-Day-Fiasko wie 2013, als die Grünen vorschlugen, einen vege­ta­ri­schen Kanti­nentag einzu­führen, und im Wahl­kampf dann als Verbots­partei galten?

Hofreiter: Die Klima­krise droht unsere Lebens­grund­lagen zu zerstören. Eins der größten sozialen Probleme ist mangelnder Wohnraum in den Städten. In vielen Orts­kernen auf dem Land herrscht Leer­stand. Man sollte das ernst­haft disku­tieren. Sonst haben wir als Gesell­schaft keine Chancen, die Probleme in den Griff zu kriegen.

Quelle: DER SPIEGEL 7/2021

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